„In ihren Augen“ – Argentiniens Stars aus Fußball, Tango und Film
Angesichts des diesjährigen Oscar-Erfolgs für den argentinischen Filmexport „In ihren Augen“ (Kinostart: 28.Oktober 2010) wäre es unverzeihlich, das südamerikanische Land weiterhin allein über Fußball und Tango zu definieren. Argentinien steht nunmehr für Fußball, Tango und Film! Drei kulturelle Dimensionen, in denen argentinische Leidenschaft gelebt wird wie nirgendwo sonst. Im Folgenden stellen wir drei berühmte Argentinier vor, jeder von ihnen ein Virtuose, ein Meister seines Fachs.
Fußball: César Luis Menotti
Argentinien ist ohne Fußball gar nicht denkbar, und die Liste berühmter argentinischer Ballkünstler und Meistertrainer ist lang. Di Stéfano, Maradona, Messi – wer kennt sie nicht? Alle drei genießen einen gottähnlichen Status unter den Aficionados, den Liebhabern dieses Sports. Doch es gibt einen Mann, der selbst den nicht an Fußball interessierten Argentiniern Respekt einflößt und sie mit Stolz erfüllt: César Luis Menotti. Der geniale Trainer wurde am 25. Juni 1978, im Moment des größtmöglichen fußballerischen Triumphs, zur lebenden Legende, indem er die Albiceleste, die argentinische Nationalelf, im eigenen Land zum ersten Weltmeistertitel führte. Der Mann aus Rosario am Río Paraná hatte einen nie da gewesenen, kreativen und angriffslustigen Fußball spielen lassen, mit dem seine Mannschaft die favorisierten Niederländer mit einem glorreichen 3:1 nach Verlängerung in die Knie zwingen konnte. Als ihm das argentinische Staatsoberhaupt, der Militärdiktator Jorge Rafael Videla, zur Siegerehrung freudestrahlend die Hand entgegenstreckte, schlug Menotti den Handschlag vor den Augen der ganzen Welt einfach aus und ließ den General kommentarlos stehen. Eine kleine Geste mit gewaltiger Wirkung. Während die Diktatur das größte Sportereignis der Welt missbrauchte, um sich als liberale, weltoffene und moderne Nation zu präsentieren, während die internationalen Gäste auf den Rängen der Stadien ein großes Fußballfest feierten und das Fernsehen das ausgelassene Spektakel in alle Welt übertrug, wurden zur selben Zeit in den argentinischen Foltergefängnissen tausende Dissidenten gequält und ermordet. Eine WM als großes, buntes Ablenkungsmanöver. Von seinen Spielern hatte Menotti nie mehr eingefordert als sportliches Engagement und absolute Ehrlichkeit, und genau so lebte er es vor. Mit seiner mutigen Geste machte er sich unsterblich, und zeigte stellvertretend für seine Landsleute, wie sehr ihnen das monströse System der Militärjunta zuwider war.
Tango: Astor Piazzolla
1921 an der rauen Atlantikküste in Mar del Plata geboren, wurde Piazzollas Musikalität schon im Kindesalter geweckt. Die Begeisterung seines Vaters für den Tango übertrug sich auch auf den kleinen Astor, und bald darauf spielte er Bandoneon und Klavier. Sein leidenschaftliches Interesse an der Musik wuchs stetig, auch Jazz und Klassik sog er begierig in sich auf. Das argentinische Wunderkind zog nach Paris und begann ein Studium am Konservatorium, um sich ganz der Klassik zu widmen, als ihm seine Mentorin, die große Komponistin Nadia Boulanger, unmissverständlich klarmachte, dass der Tango seine Musik sei. Bestärkt kehrte er nach Argentinien zurück, arbeitete beständig an seinem ureigenen Stil und begründete noch in den 50er Jahren den Tango Nuevo. Dieser verknüpfte traditionelle Klänge mit Elementen aus Klassik, Jazz und sogar Pop und lud eher zum Zuhören ein, als dass er sich noch wie der klassische Tango Argentino zum Tanzen eignete. Mit seiner innovativen Musik stieß Piazzolla anfänglich auf starke Ablehnung. Doch er ließ sich nicht beirren, komponierte, arrangierte und erhob schließlich den Tango – vormals die Musik der Unterwelt – in die Ränge moderner Populärmusik. Als er 1992 in Buenos Aires starb, hinterließ der Virtuose über dreihundert Tangos und knapp einhundert Soundtracks und Alben. Er gilt als König des Tangos, seine Musik ist moderne Klassik geworden.
Film: Juan José Campanella
Spätestens seit dem 7. März 2010 muss man Juan José Campanella in einem Atemzug mit Regisseuren wie Pedro Almodóvar, Akira Kurosawa, Federico Fellini und François Truffaut nennen, den großen Meistern des Autorenfilms. Denn an jenem schönen Frühlingsabend wurde Campanellas Polit-Thriller „In ihren Augen“ als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar ausgezeichnet. Die Erinnerung an die Militärdiktatur, ein grausames und ungesühntes Verbrechen sowie eine große, aber unerfüllte Liebe verschmelzen im Film zu einer fesselnden Story, an deren Ende eine überraschende Wendung steht. Der Erfolg als Regisseur zeichnete sich bei Juan José Campanella bereits früh ab. 1959 in Buenos Aires geboren, begann er mit 20 ein Filmstudium an der Universidad de Avellaneda, ehe er 1983 auf die New York University wechselte, wo er 1988 sein Film- und Fernsehstudium abschloss. Sein Abschlussfilm „El contorsionista“ wurde auf dem Universitätsfestival als bester Science-Fiction-Film ausgezeichnet. Er selbst erhielt den Preis für die beste Regie. Im Folgejahr wurde der Film mit dem Sonderpreis der Kritik beim Festival in Clermont-Ferrand prämiert. In den USA führte Campanella bei Episoden mehrerer Fernsehserien Regie. Neben seinen Regiearbeiten schrieb er auch die Drehbücher seiner wohl bekanntesten Filme „El mismo amor, la misma lluvia“ (1999), „Der Sohn der Braut“ („El hijo de la novia“, 2001) und „Luna de Avellaneda“ (2004). „El mismo amor, la misma lluvia“ gewann gleich auf mehreren Festivals Preise und war der große Gewinner der Argentine Film Critics Association Awards im Jahr 2000. Auch Campanellas Film „Der Sohn der Braut“ wurde auf zahlreichen Festivals ausgezeichnet, 2002 erhielt der Film eine Oscarnominierung als „Bester fremdsprachiger Film”. „Luna de Avellaneda“ war 2004 ebenfalls ein Festivalerfolg und zudem für einen Goya und vierzehn “Silberne Condore” bei den Argentine Film Critics Association Awards nominiert.
Mit dem Erfolg bei der Oscar-Verleihung 2010 wird Campanella nun auch über die Grenzen der spanisch-sprachigen Welt hinaus immer populärer. Und wenn „In ihren Augen“ ab dem 28. Oktober in den hiesigen Kinos anläuft, wird der argentinische Film auch das deutsche Kinopublikum faszinieren.
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